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Praxisbericht aus dem Pilotprojekt

Wer ist die Stiftung?

Die Marianne von Weizsäcker Stiftung für ehemals Suchtkranke e. V. engagiert sich seit über 25 Jahren im Bereich der Entschuldungshilfen und Hilfen zur beruflichen Wiedereingliederung für ehemals Suchtkranke, um so eine wichtige Voraussetzung für ein nachhaltiges drogenfreies Leben zu schaffen.

Wie arbeitet die Stiftung?

Die Stiftung erstellt ein sorgfältig geprüftes, an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners ausgerichtetes Sanierungskonzept. Sie bietet den Gläubigern eine Einmalzahlung an, die stets über den zu erwartenden Zahlungsflüssen innerhalb der Wohlverhaltensperiode liegt. Die Gläubiger profitieren durch eine umfassende Kreditprüfung, transparente Unterlagen und eine schnelle Zahlung. Die Stiftung trägt das Rückzahlungsrisiko.

Die Stiftung hat insgesamt mit einem Volumen von 6,1 Mio. € Verbindlichkeiten von 33,1 € bei 24.000 Gläubigern reguliert, die Gläubiger haben auf 26,2 Mio. € zugunsten unserer Einmalzahlung verzichtet. Die durchschnittliche Vergleichsquote beträgt 18 %.

Warum beteiligt sich die Stiftung an dem Pilotprojekt?

Die Erstellung und Umsetzung eines tragfähigen Sanierungskonzeptes ist in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden: Die von uns betreuten Menschen mit Multiproblemlagen sind zum einen in besonderem Maße von Exklusion betroffen. Sie haben kaum  Zugang zum Arbeitsmarkt und beziehen überproportional Einkünfte im Niedriglohnbereich bzw. Transferleistungen. Zum anderen ist aber trotz rückläufigem, sehr häufig unpfändbarem Einkommen gleichzeitig sowohl die Schuldenhöhe als auch die Anzahl der beteiligten Gläubiger angestiegen. Durch die deutlich eingeschränkte Zahlungsfähigkeit kann die komplexe Verschuldungssituation nicht mehr aus eigener Kraft gelöst werden.

Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist für die von uns betreuten Menschen häufig nicht geeignet, weil sie insbesondere mit dem juristischen Verfahren und der Erfüllung der Obliegenheiten überfordert sind. Unsere Hilfen zur Schuldensanierung und beruflichen Wiedereingliederung sind deshalb von zentraler Bedeutung für unsere Klienten.

Auch für die Gläubigerseite ist unsere Einmalzahlung oft die einzige Möglichkeit, eine ansonsten uneinbringliche Forderung zumindest teilweise zu realisieren. Ein Verbraucherinsolvenzverfahren verursacht zusätzliche Kosten und führt in der Regel nicht zu Zahlungsflüssen innerhalb der WHV. Die von uns angebotenen außergerichtlichen Lösungen sind kostengünstig und effektiv, entlasten die Justiz und bringen Gläubiger- und Schuldnerinteressen im Sinne von Mediation zu einem individuell passenden Ausgleich.

Trotz dieser Vorteile hat die Akzeptanz von außergerichtlichen Einigungen auf der Gläubigerseite in den letzten Jahren abgenommen. Die Entscheidungen erfolgen häufiger nach juristischen Kriterien, es ist zunehmend weniger Raum für freiwillige  individuelle Lösungen.

Zudem legen bestimmte Gläubiger im vorgerichtlichen Bereich andere Kriterien zugrunde  als im gerichtlichen Verfahren. Vorgerichtlich werden Vergleiche abgelehnt, im Insolvenzverfahren erfolgt jedoch regelmäßig ein vollständiger Verzicht auf die Forderung. Diese Praxis erschwert  unsere Arbeit, da Zustimmungsersetzungsverfahren etc. für alle Beteiligten sehr kosten- und arbeitsaufwendig sind,  aber nicht zu einem anderen (besseren)  Ergebnis führen. Aufgrund dieser Erfahrungen engagiert sich die Stiftung in der Stephan-Kommission. Eine Stärkung und Standardisierung des außergerichtlichen Einigungsversuches ist aus den oben genannten Gründen  mehr als vorteilhaft für alle Beteiligten. Ein strukturierter AEV, der eine EDV-Bearbeitung erleichtert mit verbindlichen Verpflichtungen und verlässlichen Bedingungen sowie Transparenz von allen Beteiligten könnte ein sinnvolles Instrument zur Stärkung der außergerichtlichen Einigung sein.

Welche Erfahrungen wurden im Pilotprojekt gemacht?
  • Unsere außergerichtlichen Einigungsversuche in 2015 erzielten im Ergebnis
    • 61% Zustimmung 
    • 24% Kopf- und Kapitalmehrheit
    • 8% gescheitert/abgelehnt
    • 7% noch offen
Für uns ergeben sich aus dem Projekt folgende Anmerkungen/Anregungen:
  • Die Einrichtung von festen Ansprechpartnern für die Schuldnerberatung
  • Fristsetzungen zur Zahlung der Vergleiche flexibel gestalten
  • Insbesondere öffentliche Gläubiger haben das Formular positiv beurteilt
  • Bei vielen Gläubigern „rutscht“ das Formular im Arbeitsalltag durch und findet keine Beachtung, eine entsprechende Information an die Mitarbeiter wäre hilfreich, ebenso
  • Eine Begründung der Ablehnung oder ein Gegenangebot durch den Gläubiger
  • Das Formular sollte in digitalisierter Form (z.B. verschlüsselte Mail) oder per Fax gesendet werden können, um Zeit und Sachkosten zu sparen.
  • Insgesamt in der Stiftung positive Erfahrungen mit dem Formular (Bearbeitungszeit, Handhabung des Formulars, aber auch positive Rückmeldungen der Kollegen aus der Suchthilfe)